Bereits zum 43. Mal fand am vergangenen Wochenende der Rennsteiglauf statt. Dieser 72,7km lange Ultralauf zählt damit zu einer der ältesten Laufveranstaltungen überhaupt in Deutschland. Für mich war es nach 2013 die zweite Teilnahme an diesem traditionsreichen Rennen von Eisenach nach Schmiedefeld. Im Vorfeld freute ich mich schon sehr auf dieses Wochenende. Ein toller Ausflug mit 8 Laufkollegen vom Lauftreff Pfohren war geplant.
Nach längerer Fahrt inklusive Vollsperrung erreichten wir Eisenach aber trotzdem pünktlich zur Kloßparty. Die thüringer Alternative zur allseits beliebten Nudelparty. Wir genossen diese Abwechslung mit einem kühlen Köstritzer in der Sonne auf dem Marktplatz. Anschließend ging es nach einem weiteren Essen bei einem örtlichen Italiener zurück in unser Quartier. Der Wecker sollte für alle 9 Läufer doch recht früh klingeln am nächsten Morgen.
Leider erhielt ich noch eine traurige Nachricht an diesem Abend. Das Nepal Mountain Race, an welchem ich im September teilnehmen wollte, wurde nun endgültig wegen dem verheerendem Erbeben vor 2,5 Wochen abgesagt. Natürlich völlig nachvollziehbar. Bei dieser Katastrophe, fröhlich seinem Hobby nachgehen ist, sowohl infrastrukturell wie auch moralisch nicht vertretbar. Innerlich war ich jedoch sehr enttäuscht, da ich mein ganzes Jahr auf dieses Ereignis ausgerichtet und geplant hatte. Das war ein großer Lebenstraum.
Entsprechend enttäuscht stand ich am nächsten Morgen auch am Start des Rennsteiglaufs. So kalt hatte mich diese Nachricht nicht gelassen und innerlich war die Motivation diesen Lauf nun anzugehen nicht sehr groß. Als Punkt 6 Uhr der Startschuss über den Marktplatz hallte, begleitet vom Knattern der Rotorblätter des Hubschraubers, entschied ich mich aber einen fatalen Fehler zu begehen. Ich startete viel zu schnell.
Die ersten 25 Kilometer geht es stetig bergauf. Zwischen Eisenach und dem großen Inselsberg gilt es knapp 700 Höhenmeter an Steigung zu überwinden. Auf den Ebenen gab ich Vollgas (sub 4:50min/km) und auch an den Steigungen versuchte ich zu Laufen, was laufbar war. Den Verpflegungsstationen schenkte ich nur wenig Beachtung und griff außer ein Becher Wasser oder Tee nichts vom reichhaltigen Buffet. Dann vor dem großen Inselsberg die erste Rampe. Wie aus dem Nichts steht man plötzlich vor einer Wand und ist zum Gehen verdammt. Oben angekommen zählt mich ein Streckenposten als 46. Gesamt. Ich bin viel zu schnell unterwegs und merke es hier bereits. Nach 2:14 Stunden habe ich den Messpunkt am Inselsberg erreicht und stürze mich die Treppen hinab. Prognose im Moment: 6:30 Stunden.
Auf einer welligen und teils sehr trailigen Strecke geht es in Richtung Ebertswiese. Unterwegs muss man aufpassen, da es immer wieder große Steine und Wurzeln gibt, welche sich den Ultraläufern hinterhältig in den Weg werfen. Direkt neben mir erwischt es die zu diesem Zeitpunkt auf dem 3. Rang liegende Frau. Nach einem kurzen Check kann es für sie aber zum Glück weitergehen. Ich halte das Tempo trotzdem weiter hoch und nehme viel zu wenig an den Stationen mit. Irgendwie hat mein Kopf nicht verstanden, dass wir da keinen Marathon laufen, sondern noch 30 Kilometer weiter. Die 12 Kilometer bis zur Ebertswiese nehme ich in knapp 1:01 Stunden unter die Füße. Der Gesamtschnitt sinkt auf 5:07min/km. Prognose: 6:15 Stunden. An der Ebertswiese gibt es das erste große Buffet. Ich begnüge mich allerdings mit einem Gel und ziehe direkt weiter.
Beim Aufstieg zu den Neuhöfer Wiesen zieht es mir dann den Stecker. Ich kann gerade noch so gehen. Ich hab mich total leer gelaufen und überzogen. Einer nach dem anderen zieht locker und lässig an mir vorbei. Ich bleibe kurz stehen und Blicke in die weite Ferne über die Hügel des Rennsteigs. Ich überlege ernsthaft an dieser Stelle auszusteigen, meine Laufschuhe für immer an den Nagel zu hängen und die Sache ganz schnell zu beenden. Warum tue ich mir diese Qualen an? Für wen eigentlich? Für was? Mache ich mir nur etwas vor? So ein Tief hatte ich noch nie. Der Kopf irgendwie nicht mehr auf der Höhe. Durch den Wegfall des Nepal Mountain Race auf einmal ein Lebenstraum und Perspektive geraubt. Nach guten 20 Sekunden reißt mich allerdings ein Klapps auf die Schulter wieder aus den Gedanken. „Auf Jung es geht immer weiter, wir sind gleich oben!“
Irgendwie schleppte ich mich mehr schlecht als recht weiter über den Rennsteig. Versuche an jeder Verpflegungsstation die Fehler der ersten Rennhälfte wegzumachen und stopfte so viele Bananen und Cola in mich hinein wie möglich. Im Kopf der Wunsch die 7 Stunden zumindest noch zu knacken. Als ich den höchsten Punkt des Laufes auf dem Ebberg passiere, merke ich wie so langsam die Energie wieder in die müden Muskeln zurückkehrt.
Ich tankte an der Verpflegung in Schmücke nochmal richtig auf und ließ es dann laufen. Mein Tempo lief wieder und ich sah zuversichtlich in Richtung der 7 Stunden. Die Halbmarathon Schilder wiesen uns die restlichen Kilometer bis zum Ziel in Schmiedefeld.
Kurz nach der letzten Verpflegung am Kreuzwege begann es plötzlich zu Regnen. Ich breite die Arme aus und genieße den kühlen frischen Regen auf der Haut. Das ist wie Fliegen. Plötzlich ist alle Energie, auch mental, wieder da. Ich schwebe den Berg hinab nach Schmiedefeld. So unterschiedlich können Gefühle während eines einzelnen Rennens sein. In einem Moment am Ende seiner Laufkarriere, im nächsten Moment plötzlich auf Wolke 7. Schneller wie gedacht taucht der 1km Bogen auf. Ein Blick auf die Uhr bestätigt mich darin die 7 Stunden heute sicher zu knacken. Ich breite die Arme aus und laufe jubelnd nach 6:55:49 Stunden ins Ziel. 50 Minuten schneller als 2013. 122. Gesamt und 7. in meiner Altersklasse.
Leicht frierend durch die Nässe hole ich schnell meinen Kleiderbeutel und begebe mich mit einem kühlen Köstritzer unter die Dusche. Anschließend nehme ich den Bus nach Eisenach. Einer muss ja das Auto holen ;). Während ich mich dann mit dem Auto zurück über den Rennsteig, das zweite Mal an diesem Tag, nach Schmiedefeld aufmache, erreichen auch die anderen vom Lauftreff Pfohren nach und nach das Ziel. Jeder mit einer tollen Leistung für sich persönlich.
Alle vereint lassen wir dann den Abend auf der „crazy“ Läuferparty im großen Festzelt dann ausklingen. Unglaublich was hier zum Rennsteiglied und zum Lied des Rennsteigslauf abgeht. Muss jeder Mal live erlebt haben! Müde Beine springen auf einmal auf Bänken und Tischen herum und schunkeln gemeinsam zum Schneewalzer. Eine unglaubliche Stimmung und ein guter Grund um nächstes Jahr im Mai hier wieder am Start zu stehen.
Und jetzt ALLE!!
Und die Laufkarriere?
Keinesfalls beendet. Eher im Gegenteil. Neue Ziele, Neue Perspektiven!! Mehr dazu in Kürze hier.
Ein toller Bericht. Hat mich sehr berührt und an meinen Rennsteig 2013 erinnert. Dieses Jahr habe ich es ruhig angegangen und den Lauf genossen.
Sehr schöner Bericht. Nepal Mountain Race wäre aber bestimmt noch viel mehr der Knaller gewesen auch wenn die Luft beim Rennsteiglauf doch etwas dicker ist :-). Glückwunsch zum Finish !!!
Stark gemacht! Und trotz des Tiefs durchgehalten! Ich verneige mich in Ehrfurcht. Ihr vom LT Pfohren seid echt krasse Typen. 😉 Ich seh Euch immer nur von hinten. 😀
Sehr interessant, dieses Event mal aus einer solchen Sicht zu erleben: Danke dafür, Lars! Ich hab für die Strecke locker 2:30 Std. länger gebraucht, und dabei ist natürlich ein komplett anderer Film abgelaufen, als bei Dir. Ich hab keine Ahnung, ob ich Platz 70 oder 700 oder 7000 gemacht habe. Aber ins Ziel gelaufen bin ich ähnlich glücklich wie Du.
Herzlichen Glückwunsch zu Deiner Leisung – und dazu, dass Du Deinem Schweinehund gezeigt hast, wer das Herrchen ist! 😉
Danke Eddy. Ja es ist schon wahnsinnig was der Kopf auf solchen Strecken mit einem machen kann. Da können die Beine noch so melden das sie fit sind wenn der Kopf dicht macht ist Ende. Und je nach Leistungslevel macht da extra mentales Training für den Kopf schon Sinn.