Es ist Freitag Abend 00:14 Uhr. Ich stehe vor dem verschlossenen Backpackers Hostel Lotte in Heidelberg. Es tröpfelt leicht. Gerade liegt ein Derbysieg der Wild Wings und 2 Stunden Autofahrt hierher hinter mir. Ich klopfe und klingel, aber keiner öffnet die Türe. Meine letzte Rettung ist die Handynummer auf dem Willkommensschild. Eine müde Frauenstimme meldet sich und öffnet mir zum Glück kurze Zeit später die Türe. Ich bekomme einen Zimmerschlüssel und ein Bett in einem 6er Zimmer. Hier schnarchen schon 5 weitere Personen und überall hängt Laufkleidung verteilt. Ich lege mich hin und versuche schnellst möglich Schlaf zu finden. Es dauert etwas bis sich mein Kopf beruhigt hat und ich werde um 5:45 Uhr vom Wecker jäh aus dem Schlaf gerissen.
Doch wozu das Ganze? Dafür gibt es eine einfache Erklärung. Es ist der Jokertrail. Einmal jährlich läd Michael Frenz aka Meldeläufer aka „Der Hexer“ nun schon zum 3. Mal zum Jokertrail. Ein 50 Kilometer Lauf mit rund 2000 positiven Höhenmeter rund um Heidelberg. Mit 3 Verpflegungsstationen und unmarkierter Strecke eine nette Herausforderung so früh im Kalenderjahr. Im letzten Jahr konnte ich hier die dritt schnellste Zeit im Starterfeld erzielen. In einer Gruppe mit Matthias Schramm und der Siegerin Kathi Schichtl.
Auch dieses Jahr ist Kathi wieder mit am Start als wir nach einem ausgiebigen Frühstück uns um 7.30 Uhr auf dem Kornmarkt einfinden. Auch Micha und Stefan die Vorjahressieger sind wieder am Start. Es nieselt leicht, hat aber ca. 5 Grad. Kurze Hose und langes Oberteil. Die Regenjacke lasse ich noch im Rucksack im Hinblick auf die bevorstehende Himmelsleiter. Michael Frenz hält eine letzte Instruktion und 67 Läufer scharren mit den Hufen um endlich loslegen zu dürfen.

Während die letzten Jahre Start und Ziel in Dossenheim lag, starteten wir aufgrund einer besseren Unterkunft dieses Jahr in Heidelberg direkt. Punkt 7.30 Uhr werden wir auf die Strecke gelassen. Wir preschen los. Die Gassen von Heidelberg sind menschenleer. Ich versuche an Micha und Stefan eine Weile dran zu bleiben und hetze hinterher. Wir laufen unterhalb des Schlosses eine kleine Gasse entlang bevor dann der Aufstieg beginnt. Geschont wird sich bei dieser Startvariante aus Heidelberg heraus nicht. Über Treppen steigen wir zum weltbekannten Heidelberger Schloss hinauf und queren oberhalb. Hier bietet sich ein traumhafter Blick über Heidelberg, den Neckar und die Hügel des Odenwaldes. Einige davon erschreckend weiß. Nun folgt direkt die Himmelsleiter. Ab dem Kornmarkt bis zu ihrem Ende auf dem Königsstuhl sind es harte 1600 Stufen die uns Läufer hier erwarten. Doch nur im unteren Teil handelt es sich um gleichmäßige Stufen, im oberen Teil sind es einfache Natursteinblöcke die unterschiedlich hoch, glatt und schmierig sind. Spätestens hier wird jedem warm. Im oberen Drittel geht der Regen dann in Schnee über und im dichten Schneetreiben erreiche ich schließlich den Königsstuhl, gute 400 Höhenmeter über Heidelberg. Kathi hat schon zu mir aufgeschlossen und zusammen bahnen wir uns den Weg durch den Schnee zum folgenden Downhill. Micha und Stefan sind mit 2 weiteren Läufern schon auf und davon.
Auf dem nun folgenden Downhill zum Felsenmeer muss man höllisch aufpassen. Schnee auf dem Trail und Schnee in den Augen vernebelt einem die klare Sicht auf den Boden unter einem. Ich gehe ein zu hohes Tempo und muss prompt die Rechnung dafür bezahlen. Ich knicke mit dem rechten Fuß um und schmerzhaft ruft es mir meine Verletzung aus der Weihnachtszeit wieder ins Gedächtnis. Nach einigen Fluchen und kurzem Humpeln geht es aber weiter. Ich beschließe fortan etwas Gas rauszunehmen bergab. Wir verlieren hierbei fast alle vorher mühsam gesammelten Höhenmeter wieder, bevor es am Stadtrand von Ziegelhausen wieder hinauf in Richtung Hohler Kästenbaum geht. Ich bin mir zu diesem Zeitpunkt nicht sicher auf welchem Platz ich liege. Immer wieder kommen einem Läufer entgegen oder überholen einen, die sich mit ihrem GPS-Track verlaufen haben. Auch ich verfranze mich hier das ein oder andere Mal, finde aber meistens schnell den richtigen Weg. Oben wieder im Winter angekommen geht es dann auf schnellstem Wege wieder zurück in den Frühling. Diesmal endgültig hinab nach Ziegelhausen zur 1. Verpflegungsstation. Hier schließt Kathi wieder zu mir auf und wir beschließen erstmal zusammen zu laufen. 15 Kilometer haben wir bis hier her hinter uns. Der Höhenmesser steht bei knapp 1000m Steigung.

An der 1. Verpflegung kommen wir als 3. und 4. gesamt durch und wir sind erstaunt so gut im Rennen zu liegen. Haben sich wohl einige noch verlaufen. Wir genießen die mega leckeren selbstgemachten Müsli Taler der Bäckerei. Jedes Jahr so ziemlich mein Verpflegungshighlight des Jahres. Einen Schluck Tee dazu und schon geht es weiter. Es folgt der lange Aufstieg zum langen Krischbaum, der zweiten Verpflegung. Der Weg ist hier meist auf Forststraßen, teilweise aber auch quer Feld ein. Pro Höhenmeter den wir gut machen nimmt der Schneefall zu. Auf einmal fühlen wir uns wie mitten in den Alpen gelandet und nicht wie in einem 450m hoch gelegenen Mittel“gebirge“. Der einzige Vorteil, den der Schnee bietet, wir brauchen uns keine Sorge um die Navigation machen. Immer den Spuren der anderen 3 vor uns hinter her. Doch so langsam wird es saukalt. Ich krame die Handschuhe raus und habe Mühe sie über die Finger zu bekommen. Endlich am langen Kirschbaum bei km 25 angekommen verweilen wir deshalb auch nicht lange sondern machen uns sofort auf die 15 km lange Runde um Wilhelmsfeld. Mir frieren die Finger und Kathi hat Probleme mit eiskalten Füßen. Sonst geht es uns aber gut und wir kämpfen uns durch das Schneetreiben. Der Aufstieg auf den Teltschikturm bleibt uns zum Glück erspart und wir können direkt hinab nach Wilhelmsfeld laufen. Hier glotzen uns erstaunte Autofahrer an, wie man bei so einem Wetter laufen kann, meinerseits auch mit kurzer Hose.

Wir sind froh als wir wieder den schützenden Wald erreichen. Durch Schnee, Eisregen und Matsch zieht sich die Runde ins unermessliche. Wir kommen uns unheimlich langsam vor, sind aber verdammt schnell unterwegs. Bis auf einen kleinen Navigationsfehler klappt auch die Wegfindung noch perfekt und wir sind nach 40 Kilometer und 4:40 Stunden wieder am Kirschbaum angekommen. Man berichtet uns dass wir auf Platz 3 liegen, nachdem Micha und Stefan leider aufgrund des Wetters und Unwohlsein aussteigen mussten. Nun lagen noch 10 Kilometer vor uns. Der Abstand nach vorne sehr groß (dachten wir zumindest) und der Vorsprung nach hinten ebenfalls. Wir wollten uns also keinen Stress machen. Der 3. Platz war sicher. Bis zum weißen Stein kämpften wir uns noch durch den Schnee bevor es dann statt nach Dossenheim wie die letzten Jahre in Richtung Heidelberg abzweigte. Wir ließen den Winter wieder hinter uns und plötzlich wehte uns ein warmer Wind entgegen. Der Wetterumschwung war spürbar. Dann war endlich Heidelberg unter uns wieder zu sehen. Wir gingen den letzten Downhill an. Nichts konnte uns aufhalten. Zumindest fast. Plötzlich ein Schrei hinter mir. Kathi hatte eine satte Bauchlandung hingelegt und komplett mit der Hüfte gebremst. Sie hatte riesen Schmerzen und zwei Wanderer waren kurz davor den Krankenwagen zu rufen. Sie rappelte sich aber wieder auf und fing tapfer wieder an zu Laufen. Unter Schmerzen bewältigte sie den restlichen Downhill und wir erreichten den Anfang des Schlangenweges. Nun war es noch 1 Kilometer. Plötzlich tauchte der 2. Platzierte vor uns auf. Er hatte sich mal wieder verlaufen.
Ich überlegte kurz Gas zu geben und mir eventuell diesen Platz zu holen, aber ließ ihn dann ziehen. Zum einen wollte ich nach so vielen Kilometern Kathi in diesem Zustand nicht allein lassen, zum anderen fand ich es unfair ihn nach so langer Platzierung vor uns, auf den letzten Metern noch zu überholen und dann einen Schlusssprint anzusetzen. Wir sind hier bei einem kleinen privaten Ultralauf, was nützt es mir sich hier Feinde zu schaffen durch einen Kampf um eine Platzierung die einem sowieso nichts bringt.
Unten am Neckar angekommen galt es sich noch den Weg durch die Massen von asiatischen Touristen zu kämpfen. Diese belagerten regelrecht die Alte Brücke und wir dürften nun auf dem ein oder anderen Filmchen in der Heimat zu sehen sein. Dann noch 300m über den Marktplatz und den Kornmarkt zurück ins Hostel. Hier wurden wir bereits erwartet und herzlich empfangen. Wir hatten es geschafft. Kathi als schnellste Frau und ich als 3. Gesamt. Wir benötigten 5:53 Stunden und waren somit 30 Minuten schneller wie im vergangenen Jahr. Ein Wahnsinn. Die Beine waren vor allem noch erstaunlich fit, aber der Körper ziemlich ausgekühlt. Die warme Dusche brachte aber anschließend die Lebensgeister wieder zurück in den Körper.

Nach und nach trudelten die weiteren Läufer ein und alle waren erschöpft, durchgefroren aber froh das Ziel erreicht zu haben. Anschließend begann bei Kuchen und Tee das Geschichten erzählen, keiner hatte mit diesen winterlichen Verhältnissen gerechnet.

Am Abend lassen wir uns dann noch Pizza kommen und der Abend klingt gemütlich mit einem Kasten Bier im Hostel aus. Auch das ist Trailrunning. Jeder hat ein paar Geschichten auf Lager und so wird es ein sehr gemütlicher Abend.

Fazit:
Wieder eine super Veranstaltung von Michael Frenz. Die Verpflegung und die Organisation war super und fehlerfrei! Das Wetter eine große Herausforderung. Die Beine waren erstaunlich fit. Ich hätte nicht gedacht dieses Tempo gehen zu können, 6 Tage nach einer Marathon Bestzeit. Für mich mehr als ein Beweis, dass ich derzeit mit Training und Ernährung vieles richtig mache. Der nächste Jokertrail am 25.02.2017 ist somit erstmal als fester Termin eingeplant.
Leider gibt es aufgrund des schlechten Wetters so wenig Bilder meinerseits.
Großartiger Bericht. Sehr gut und mitreißend geschrieben. Respekt. Du kannst somit nicht nur gut laufen sondern auch sensationell schreiben. Danke für die tolle Unterstützung!
[…] dürfte einiges an Kraft und Zeit rauben. Allerdings hatten wir beim Jokertrail vor ein paar Wochen ähnliche Bedingungen und ich kam ganz gut damit zurecht. Wer die Webcam […]